Meine theure Elwine!
Mitten aus dem Trubel heraus, in dem wir seit mehreren Tagen leben, und zwar in
die Syringenlaube mich flüchtendin den Garten, wo ich dergleichen noch nicht
tiefer gethan, sende ich dir Gruß und Kuß mit innigen flüchtigen
Zeilen als Antwort auf Deine beiden lieben Briefe. Der letzte kam, was ich kaum
mehr erwartet hatte, rechtzeitig noch am späten Abend meines Geburtstages
an. In dem Menschengewühl hier wurde mir gemeldet, es war kurz vor 10 Uhr
Abends, daß die Post angekommen u. mir auch ein Brief von Tante Friederike
zugebracht habe. Ich empfing den Brief, er war aus Pyrmont vom 10. Juli u. St.
datiert u. begrüßte mich zu meinem Geburtstage aus weiter Ferne. Es
that mir so wohl, daß F. dort auch meinen Geburtstag nicht vergessen hatte.
Aber schmerzlich war es mir doch, von Dir keinen Brief zu diesem Tage empfangen
zu haben. Nachdem ich einen ruhigeren Augenblick gefunden, da sah ich die Kirchenpost
u. siehe da, der erwartete Brief von Deiner Hand fand sich darunter. Hab herzlichen
Dank für Deine treuen Wünsche. Etwas beunruhigt hat mich in letzter
Zeit wohl die Nachricht von Deinem Kranksein. Die letzte Nachricht lautete freilich
etwas besserr. Der barmherzige Gott wolle dir die frühere Gesundheit wieder
schenken. So bald es besser mit Dir geworden, oder vielmehr Du gesund geworden
sein wirst, melde es mir doch gleich.
Nun etwas vom Geburtstage. Tante A. (Tante Auguste, Schwester von Helena Constantia
Frank geb. Johannson, d. Hrg.) war heute vor 8 Tagen morgens um 9 Uhr mit ihren
Kindern hier eingetroffen. Die übrigen Geburtstagsgäste fehlten aber
immer noch u. wir wußten nichts weiter, als es Erwin, der Sonntag vor 8
Tagen hier angelangt war, uns berichtet, daß sie kommen wollen, aber der
Tag der Abreise noch nicht bestimmt werden konnte. An meinem Geburtstagsmorgen
um 6 Uhr erwachte, blieb aber noch im Bette, da höre ich um halb siebenUhr
Equipage mit Glocken in den Hof rollen. Ich stieg aus dem Fenster, u. sah, eine
Kalesche mit Postpferden bespannt u. einen Postwagen außerdem, die Insassen
waren bereits ausgestiegen. Weil die Magd mir das Waschwasser gebracht, blieb
ich im Zimmer, da ertönte kurz vor 7 Uhr ein vierstimmiger Choral: Die Himmel
rühmen des Ewigen Ehre - von meinen Chorsängern gesungen. Ich trat endlich
hinaus u. fand alle Wohnzimmer mit Eichenlaubgirlanden geschmückt u. der
erste, der mich begrüßte, war Wilhelm, dann Marie mit den Kindern Wilhelm
Bergwitz und seine Frau Marie geb. Frank, Pastor in Pernau, d. Hrg.), dann Pastor
Törne von Gedmannsbach, 42 West von Pernau, den bongst aufgefordert hat,
das Diakonat in Arendsburg anzusehen u. der zu einer Gastpredigt nach Oesel mit
Wilhelm gekommen ist. Morgen fährt er mit Wilhelm zur Stadt u. Sonntag soll
er predigen. Er ist ein lieber, freundlicher Mann, bereits 15 Jahre im Amte, schon
etwas grau u. Vater von 7 Söhnen, die ihn allein dazu bewogen, die Stelle
anzunehmen, da in Arensburg Schulen sind. Die Schule u. Pension der Söhne
würden im alten Wohnort verblieben, seine ganzen Einnahmen verschlingen.
Montag o. Dienstag wird er wohl aus der Stadt hierher zurückkommen, um Mittwoch
oder Donnerstag die Rückreise mit den Kindern anzutreten. Wenn nicht Chikanen
die Geschichte verderben, so wird er wohl gewählt werden. Wilhelm läßt
ihn ungern aus ihrem Kreise ziehen. Er hält große Stücke auf ihn.
Äußerlich hat er nichts Imponierendes. Sehr bescheiden tritt er auf,
spricht leise u. nicht viel. Er ist ein Revalenser, einige 40 Jahre alt u. der
Sohn des Revalschen Rentmeister Törne, den ich als Kind auch gesehen habe.
Ehe er nach Gedmansbach kam war er 6 Jahre Pastor in Beßarabien in Köstiz,
der Nachfolger dort von Oberpastor Ripke. Ich würde mich sehr freuen, wenn
wir einen solch milden Charakter in unseren Pastorenkreis bekommen. Wir haben
an Nolcks schroffem Wesen genug. Wie ich zugleich vorgestern hörte, will
unser alter Superitendent seinen Abschied nehmen u. soll ihn schon eingereicht
haben. Da werden wir wohl Nolcken (Nicolai v. Nolcken, Pastor in Peude, d. Hrg.)
als seinen Nachfolger erhalten, da der Adel den Superintendenten wählt. -
Ich bin aber vom Geburtstage ganz abgekommen. Die Kinder hatten mir einen hübschen
Geburtstagstisch bereitet u. mit schönen Gaben geschmückt. Um 9 Uhr
fanden sich Steinmann und sein Bruder ein, eine Stunde später seine Frau
mit den Kindern, dann Gahlebaeck (Pastor in Pyha, d. Hrg.) mit Harry. Bald darauf
kamen die Hunnischen Kinder Ainrich von Petersburg, der Stud. Eduard, Lydie, Elwine
u. eine Cousine, die Tochter der Doctorin Jordan aus Reval. Der Mittagstisch war
also ungewöhnlich bedeckt, ich glaube, über 28 Personen. Ach, beinahe
hätte ich noch Wilhelmie u Matso Dittmer vergessen, die auch am Vormittag
aus Jührs kamen. Am Nachmittag kam noch Louise Knottke, die alte Buchanden
u. ihre Tochter Lilly Nelly, die Cöllnschen beide hinzu, das Haus wimmelte
also von Menschen, wie zuletzt vor Jahren an Mariens Hochzeitstage. Das Wetter
war päßlich, die jungen Leute amüsierten sich draußen mit
Spielen u. Hose springen. So viele junge Mädchen sind schwerlich früher
hier gewesen. Bis kurz vor 12 Uhr Nachts blieben die GästeDa verließen
die Honninschen Kinder, die Cöllnschen, Pastor W mit seiner Schwester, die
Hörschelmann, die ich wieder vergessen hatte zu nennen. Es mußte in
zwei Absitzen gespeist werden, weil das Zimmer zu eng war. Du kannst Dir denken,
daß das eine fröhliche Gesellschaft war. Du allein fehltest
nur unter uns. Manchmal kam mir der Gedanke: Sollte das nicht vielleicht der letzte
Geburtstag sein, da es heute so hochfestlich und fröhlich hergeht. Nun, der
Herr hat unsere Tage gezählet. Noch einen kleinen Gast haben von Hein Samuel
Keller, der in Jüürs ist, aber alle Tage fast kommt u. oft auch die
Nacht hier ist.
Montag vor 8 Tagen, am 29. Juni, kehrten wir, Adele u. ich, Abends aus Runoe zurück
u. zwar in einem Tage an Bord. Dort fuhren wir um 1/2 4° morgensaus bei schönem
Wetter u. mäßigen aber schwachem Winde u. brachten 12 Stunden auf See
zu. Um 8 Uhr Abends waren wir zu Hause u. fanden schon Erwin vor, der am Sonntag
gekommen war. In Runoe verlebten wir 9 Tage, weil der Wind in den letzten immer
etwas "ontreis"? war u. sind viel in dem schönen Walde u. am Meeresstrande
einhergewandert. Ich predigte dort schwedisch dreimal, Sonntag vor Johanni, Johannistag
u. den Sonntag darauf. An Johannistagen auch auf estnisch für die Bewohner
des Leuchtturms. die Hinfahrt am 19. Juni ging sehr schnell vonstatten, da wir
den günstigsten Wind, fast Sturm hatten. In 6 Stunden waren wir da, aber
Adele unterwegs seekrank. Unser langes Ausbleiben hatte Christel sehr beunruhigt
u. aufgeregt. Das arme Kind ist noch sehr krank u. angegriffen. Wer mich nun auf
der zweiten Fahrt begleiten wird, ist noch unbestimmt. Um 14 Tage muß ich
wieder hin, da ich versprochen habe, am 26. Juli wieder dort zu predigen.Gott
gebe wieder eine gute Reise.
Das ist sehr freundlich, daß Reinfelds mich zur Taufe einladen wollen u.
ich danke im Voraus von Herzen dafür, es ist mir aber wohl nicht möglich,
für´s Erste nach Reval zu kommen, schon der Runoeschen Fahrt wegen,
denn vor Anfang August werde ich nicht zurück sein. Und gott der Herr weiß,
ob es mir überhaupt noch möglich sein wird, im August eine zweite Reise,
die nach Reval zu machen. Ich bin zu viel abwesend von meiner Gemeinde. Wie der
Herr will. Nun aber muß ich wohl schließen, die Uhr ist bereits 6
und der Bote muß fort. Tausend herzliche Grüße Dir von den Geschwistern
senden und Deine liebe Hausgenossin, die alte Generalin u. den lieben Reinfelds
freundlichen Gruß entbietendschließt Dich an u. ins Herz u. befiehlt
Dich den treuen Jesushänden.
Dein alter treuer Vater B.Fk.
P.S. Adele wollte Dir heute schreiben, kam aber leider nicht dazu, sie hat ja
die ganze Wirtschaft zu besorgen. Christel ist dazu immer noch nicht imstande,
noch zu schwach. Die Jührschen wohnen in den Ferien auf dem Lande, die Clarens
ist mit ihrer Tochter Lidonie u. ihren beiden Söhnen aus Leipzig hier u.
war längere Zeit in Cölln, badet aber jetzt in der Stadt, wohin auch
die Cöllnschen heute gezogen sind. Denk Dir, meines Geburtstags wegen sollten
sie die Fahrt dorthin um zwei Tage aufgeschoben haben. Christel und Adele sind
mit Sidonie, ein allerliebstes Mädchen, recht befreundet worden u. haben
mit ihr u. ihren Brüdern manche Reitparthien gemacht, woran sich auch Hans
angeschlossen hat. Alle Augenblicke kam eine ganze Cavalcade auf den Hof hier
gesprengt.
Pastor Törne ist zu einen Bautentausch. Taube schläft mit den Kindern
im hinteren Gastzimmer, Wilhelm u. Marie in dem Vorderen, Erwin und Samuel im
Kinderzimmer, Hans auf dem Heuboden.