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Wolde, den 29. Jan. 1870

Meine theure Elwine!

Nach langem "Hangen und Bangen" wurde meine Hoffnung auf einen Brief endlich gestern erfüllt. Aber was hat er wieder für eine Tour gemacht, ehe er hier einlief. Am 14. Jan. hattest Du ihn geschrieben, das Revalsche Poststempelzeichen zeigte den 15. u. 16. als Abgangstag an, von Reval ist er nach Fellein gegangen, dort am 18. eingetroffen, von dort am 20. wieder abgegangen, in Arensburg am 2. eingetroffen u. hat dort ganze 6 Tage gelegen ehe ich ihn in Händen hatte. Wie ein böses Verhängnis schwebt es über unserer Correspondenz. Ein Brief von Reval, der sonst höchstens 5 Tage braucht, hat wieder 12 Tage unterwegs zugebracht.Das muß doch eine grenzenlose Liederlichkeit auf der Post sein. Wirst Du Dich nicht gelegentlich auf der Post erkundigen, wie das möglich ist. Es kann sein, daß die Leute dort nicht wissen, wo Oesel liegt. Daher rate ich Dir, auf der Adresse statt "Oesel", per Arensburg, meinetwegen auch noch "auf Oesel" zu schreiben. Tante Augustens Brief, der auch gestern ankam u. zugleich abgegangen war, hat dieselbe Tour gemacht.- Nun, Gott sei Lob u. Dank, daß Du glücklich in Reval angelangt bist. Du hast aber so ungenau geschrieben, daß ich nicht einmal den Tag Deiner Ankunft wußte, wenn Tante ihn mir nicht genannt hätte. Ebenso wenig berichtest Du, wann Du Camby verlassen u. wie lange Du Dich in Dorpat aufgehalten hast. Du mußtest also wieder auf Rädern karren, jetzt habeen wir schöne Schlittenbahn, aber auch bitteren Frost, heute morgen 20 Grad. Da war es also doch besser, daß Du Dich bei gelinder Witterung rädern ließest. Möchtest Du Dich nur nicht auf der Reise erkältet haben. Gott segne nun Deinen Einzug in Reval u. lasse das Haus, in dem Du ein Daheim gefunden, Dir einstens Friedensstätte werden. Er schenke Dir aber auch Gnade u. Kraft, vor seinem Angesichte zu wandeln u. Ihm zu dienen als seine treue Magd in willigem Gehorsam u. Dich unter sein Joch zu beugen. Mir bangt nur, daß Du in Reval Dich am Ende von dem Treiben der Welt gefangen nehmen läßt und des Herrn deines Gottes vergißt. Er mache seine selige Gnadenverkündigung Joh. 49,15.16. auch an Dir wahr. Daß Du fürs Erste nicht in die weite Welt ziehst, ist uns lieb, wir haben Dich ja jetzt näher als in Camby. Vielleicht sehen wir uns im Sommer hier wieder. Meinen letzten Brief vom 15.ds. Monats wirst Du hoffentlich in Reval bald nach Abgang Deines Briefes erhalten haben, ob aber meinen vorletzten, vom 31.Dez. nach Camby adressierten, fragt sich. H`s werden nicht einmal gewußt haben, wohin sie ihn weiter adressieren sollten. (H.= Hasselblatt, Besitzer des Gutes Camby, d. Hrg.)
Bei uns ist es im neuen Jahre wie bisher still hergegangen. Christels Befinden ist, Gottlob, zufriedenstellend, aber an einer vollständigen Genesung ist vor diesem Sommer kaum zu denken. Rheumatische Schmerzen im Kreuz u. sonst hier u. da in den Gliedern stellen sich noch immer von Zeit zu Zeit ein. Das Gehör ist wieder fast so gut wie früher, die Augen sind in dieser Krankheitszeit vollständig gesund geworden, aber die Körperkräfte sind noch schwach u. der Schlaf ist ab und an nicht wie man ihn bei einer Reconvalescentin wünschte. Bei diese anhaltend strengen Kälte haben wir es auch recht kühl in den Zimmern u. doch muß Christel zweimal wöchentlich Salzbäder nehmen. Sie nimmt sie in dem kleinen Zimmer neben dem Speisezimmer.- Die Cöllnschen haben uns schon 2-3 Mal in diesem Jahre besucht, waren auch vorgestern hier zum Thee u. laden uns heute zu sich zum Mittag ein, woraus aber bei dieser Kälte nichts geworden ist. Sie sind sehr freundlich gegen Christel, schickten sogar heute ihren Pelz für sie her für den Fall, daß wir kämen. Außer ihnen haben uns Steinmann`s (Diakon der konkurrierenden Brüdergemeinde, der in der Nähe des Gutes Jöör wohnt, d. Hrg.) u. Winkler (Pastor in Karris, d. Hrg.) mit seiner Schwester (Pastorin Marie Hörschelmann geb. Winkler, d. Hrg.) in der vorigen Woche besucht. Ersterer bekam neulich eine Aufforderung nach Kreuz in Ehstland einer neufundierten Pfarre zu kommen, hat es aber abgelehnt, die Arensburger bekommen Niemanden für ihr Diakonat. Wer soll diese Stunden übernehmen, die damit verbunden? Girgensohn (Diakon in Arensburg 1853-1870, Quelle: Martin Koerber, Oesel einst und jetzt, Bd. 1, S. 117, d. Hrg.) wird Ende dieser Woche hier erwartet, vielleicht bringt er mir einen Brief von dir mit. Der alte Heise hat jetzt die ganze Amts- und Arbeitslast allein zu tragen, was seine müden Schultern wohl kaum lange aushalten können. In der Töchterschule gibt er nun Religionsstunden, im Gymnasium der Lehrer Gramberg, ein früherer Pastor im Oldenburgischen. Wir deutschen Amtsbrüder haben versprochen, für Heise alle 14 Tage den ehstnischen Gottesdienst zu übernehmen. Am nächsten Sonntag soll ich zum Bibelfest nach Carmel, um dort zu predigen. Am Abend will ich, falls Reinh. Girgensohn angekommen, nach Arensburg zu seinem Geburtstag fahren, der am 2. Februar ist.
Von Hansi erhielt ich vor kurzem wieder einen Brief!! Es geht ihm gut, die Feiertage hat er in Kaisma verbracht u. sehr angenehm. Der alte Höppner ist sehr liebenswürdig gegen ihn gewesenu. hat ihn mit feinem Tuch zu Beinkleidern u. einer Weste am Weihnachtsabend beschenkt. Er hofft, daß wir in diesem Winter nach Pernau kommen, was ich sehr stark bezweifele u. will dann auch hinkommen, weil er doch nach Wolde schwerlich mehr kommen wird, vielmehr so bald sich eine Aussicht findet, nach Russland zu reisen gedenkt.
Nun, mein liebes Kind, behüte Dich u. weise Dir den rechten Weg Dein treuer Gott u. Heiland.
Herzliche Grüße von den Geschwistern, auch bitte ich die Generalin und Deine Freundin Louise, sowie Tante Auguste zu grüßen, da ich heute nicht mehr antworten kann. Lies ihr daher diesen Brief vor.
In Liebe
Dein treuer Vater F.

Ist es Dir irgendmöglich, so schicke mit fahrenden Kaufleuten das gefärbte Garn her. In dieser Woche waren die Leute wieder hier fragen.

Ich schicke Dir das Couvert Deines Briefes zu, damit Du siehst, welche Wege er gemacht.









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